Interview mit Herrn Dr. Wolf-Dieter Hirsch, Facharzt für Chirurgie, Viszeralchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie und Mitglied des Verbandes Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Herr Dr. Hirsch, warum halten Sie Tierversuche für überflüssig?
Weil der Sinn und die angebliche Notwendigkeit von Tierversuchen meines Erachtens nur historisch erklärbar sind. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und in der Zeit davor gab es keine wirklichen Alternativen - die stehen uns heute aber zur Verfügung. Trotzdem bestand auch damals schon das ethische Problem des Missbrauches fühlender Mitgeschöpfe. Das geht unter anderem aus Zitaten von Gandhi, Albert Schweitzer und Arthur Schopenhauer hervor.
Was entgegnen Sie Forschern, die behaupten, dass die Tiere zwischen den Versuchen ein ganz angenehmes Leben in den Laboren führen?
Es mag sein, dass zum Beispiel Großtiere wie Schweine und Schafe in einzelnen Forschungseinrichtungen deutlich besser gehalten werden, als in der industriellen Massentier- Haltung. Die Haltung von Hunden, Primaten und insbesondere von Nagetieren ist jedoch zum größten Teil absolut tierschutzwidrig. Davon habe ich mich bedauerlicherweise selbst überzeugen können. Außerdem beseitigt ein „Schöner Wohnen für Labortiere“ noch lange nicht das prinzipielle Problem der Tierversuche.
Könnte man Ihrer Meinung nach Tierversuche von heute auf morgen abschaffen? Welche Gründe sprächen dafür, welche dagegen?
Ein Grund, der dafür spricht, ist, dass es heute wie gesagt keine Notwendigkeit mehr für Experimente am Tier gibt. Die moderne Forschung kennt hervorragende andere Möglichkeiten, um Stoffwechselvorgänge, normale Körperfunktionen und die Entstehung von Krankheiten zu erforschen. Gegen die Möglichkeit einer sofortigen Abschaffung von Tierversuchen sprechen hingegen juristische Gründe: Tierversuche werden nach wie vor noch zwingend für die Zulassung von neuen Medikamenten und medizintechnischen Produkten sowie zur Chargenprüfung gefordert - obgleich es dafür keine wissenschaftliche Begründung mehr gibt.
Welche Verantwortung tragen Medizin-, Biologie- und Chemie-Professoren, ihre Studenten in deren Einstellung zu Tierversuchen zu prägen? Liegt hier nicht die Wurzel des langfristigen Umdenkens - weg von Tierversuchen, hin zu alternativen Forschungsmöglichkeiten?
Sie sprechen mir damit aus der Seele. Die Ethik im Umgang mit dem Leben, die Erhaltung des Lebens und der Schutz vor Schmerzen sind Grundpfeiler des ärztlichen Berufes. Diese müssen auch für Mediziner gelten, die ausschließlich oder überwiegend in der Forschung tätig sind.
Warum werden alternative Versuchsmethoden bei Promotionen nicht im selben Maße anerkannt wie die Erkenntnisse, die durch Tierversuche gewonnen werden?
Dafür habe ich keine Erklärung. Das ist mir vollkommen unverständlich. Nach wie vor gilt der Tierversuch in der Forschung als „golden standard“, an dem sich alle alternative Untersuchungsmethoden messen lassen müssen. Der wissenschaftliche Beweis dafür, dass Tierversuche einen wirklichen „golden standard“ darstellen, ist aber bis heute nicht erbracht. Tierversuche sind deshalb so beliebt in Wirtschaft und der Grundlagen-Forschung, weil man mit ihnen so gut wie alles beweisen oder widerlegen kann. Eine kritische Bewertung von Tierversuchen erfolgt im Nachhinein in der Regel nicht.
Was müsste geschehen, damit sich das ändert?
Um kurz- beziehungsweise mittelfristig wenigstens eine spürbare Reduzierung von Tierversuchen zu bewirken, müsste die gesetzlich vorgeschriebene Vermeidung von Doppel- und Parallelversuchen eingehalten und die Forschung transparenter gestaltet werden. Dies ist nicht zuletzt auch sinngemäß im Deutschen Tierschutzgesetz verankert. Das besagt unter anderem, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Was als ein vernünftiger Grund gilt, wird hier aber nicht näher definiert. Dasselbe Problem liegt in dem Paragrafen vor, der vorschreibt, dass die Unerlässlichkeit des Versuchsvorhabens nachgewiesen sein muss. Wer bestimmt, was unerlässlich ist? Hier weist das Tierschutzgesetz doch erhebliche Schlupflöcher auf. Weiterhin müsste die Pflicht zur Durchführung von Tierversuchen, beispielsweise in der Pharmakologie, von der europäischen Gesetzgebung gestrichen werden.
Was halten Sie von dem Argument für Tierversuche, Medikamente könne man nur an einem funktionierenden Organismus zuverlässig testen?
Das ist richtig – aber das Versuchstier ist der falsche Organismus. Das beweisen nicht zuletzt zahlreiche „Pannen“ bei neu zugelassenen Medikamenten – auch in den letzten Jahren. Ebenso wirkt sich bekanntermaßen die Giftigkeit, Dosierung und Wirksamkeit der verschiedenen Substanzen bei verschiedenen Tierarten und beim Menschen völlig unterschiedlich aus. Hinzu kommt, dass auch heute der Tierversuch nicht die Prüfung eines neuen Medikamentes an gesunden, freiwilligen Probanden und an freiwilligen und entsprechend aufgeklärten Testpatienten ersetzt.
Wie abhängig sind Ärzte von den Versprechen der Pharmavertreter bei der Einführung neuer Medikamente? Können sie durch ihr medizinisches Wissen alle Behauptungen prüfen?
Gut informierte, erfahrene und verantwortungsvolle Ärzte sollten bei jedem hoch angepriesenen neuen Medikament die notwendige Vorsicht und Zurückhaltung in der Anwendung pflegen. Das betrifft insbesondere die unzähligen „neuen“ Präparate, für die es keine erkennbare medizinische Notwendigkeit bei der Verordnung und auch keinen erkennbaren Vorteil gegenüber vergleichbaren bewährten Präparaten für den Patienten gibt. Bei mir haben es Pharmavertreter da manchmal wirklich schwer.